Faszinierende Soundkulissen, großangelegte Arrangements, mitreißende Soli und ein packender Groove – was ist denn da los? Der deutsche Jazz lebt im Moment auf. Immer wieder hört man zurzeit von klugen Impulsen, von Bands die verschiedenste Einflüsse zulassen und etwas Aufregendes damit erschaffen. Nun ist es wieder einmal soweit.
Mit seiner Band THE MIGHTIEST EVER hat der Berliner Pianist, Keyboarder und Komponist Tim Sund eine ganz eigene Klangwelt geschaffen, die den aktuellen Jazz um ein paar Facetten bereichern wird. Und nicht nur den. Denn TME kommen genau richtig, um einen aufregenden musikalischen Moment zu bereichern: Sie passen zu der derzeitigen Renaissance des Fusion, sprechen aber genauso auch Fans des Prog-Rock an. Und nichts anderes als Minimal sind ihre oft pattern-betonten, verspielten und mitreißenden Ideen.
Diese Musik ist kein verbissener Jazz. Natürlich kann man sich manchmal an einige Phasen von Pat Metheny erinnert fühlen – das gehört zum Konzept, ist aber längst nicht alles. Hier geht es sogar um mehr als Jazz, nämlich ganz allgemein um Musik für alle, die einen intelligenten Sound suchen, der das Ohr nicht beleidigt, aber auch den Bauch anspricht. Diese seltene Kombination gab es an der Grenze des Jazz und jenseits in der Rock- und Popgeschichte immer wieder – mit Bands wie Emerson, Lake and Palmer, den frühen Genesis, mit Tangerine Dream oder Bugge Wesseltofts New Conception of Jazz. Nun bekommt dieser Zweig eine neue Stimme.
Man stelle sich vor, der Synthi-Gott Keith Emerson hätte mit den Rhythmus-Bastlern von Supertramp eine Session gemacht – plötzlich schneit Kenny Wheeler rein, der großer Lyriker der Jazztrompete. Was all diese Musikgrößen gemeinsam hatten, war der Wille zu einer Musik, die die Fantasie anregt, die Geschichten erzählt. Das Epische spiegelt sich bei TME selbst im Sound wider. Hier spielt eine Band mit Klängen, Arrangements und Effekten.
Tims Sunds neues Projekt ist der seltene Fall einer Combo, die auf allerhöchstem Niveau die Spieltechnik von Jazz und Experimentalpop beherrscht und bereit ist, sich der gekonnten Sound-Spielerei hinzugeben, um ohne Genre-Zwänge ganz neue, moderne und eingängige Musikwelten zu entdecken.
Was da entsteht, ist ein groovendes Update des Crossover-Jazz der 70er Jahre, einer Zeit die auch die Türen öffnete, zwischen Jazz und Rock, Synthi-Pop und Neuer Musik. Auch The Mightiest Ever öffnet weite Klangräume – und bleibt trotzdem funky. Hier darf der Hörer sich darauf einlassen, dass Musik zum Träumen und Tanzen einlädt und die eigenen Musikvorstellungen manchmal angenehm umkrempelt.
Wie das geschieht, dazu findet jeder Song eigene Wege. Die hoch melodische Nummer The Roads We Take geht von einem fast klassischen Klaviersound aus, führt durch verschiedene Klangfarben, darunter eine märchenhafte, weite und weiche Trompetenmelodie – und plötzlich landet diese Pastorale Sinfonie des Fusionjazz bei einem schnellen Rhodes-Solo. Forward & Beyond ist ein Stück experimenteller Minimal, das mit seinen verrückten Glockenspiel-Figuren in Trance versetzen kann. Die ganz große Klangkulisse – auch mit Vokalisen – formuliert And The Rest of Our Lives we’ll be Free, hier kommt das orchestrale Denken des Bandleaders Sund ganz zur Geltung, der auch klassische Komposition studiert hat.
NOW, das Debütalbum der Band, wurde gemeinsam mit dem rbb in den berühmten Studios im Haus des Rundfunks am Berliner Funkturm produziert.
Die Art, wie Tim Sund und The Mightiest Ever ihr musikalisches Jetzt formulieren, ist ein echtes Konzeptalbum – hier kehren Themen und rhythmische Ideen immer mal wieder, hier klingt der Strawinsky der neoklassischen Phase genauso an wie Herbie Hancocks Funkjazz. Es ist regelrecht aus jeder Note zu hören, dass diese Musik auch etwas ausrufen will: Now! Ohren auf – hier geht es um etwas!